Wir sind mal wieder viel schneller als erwartet. Eigentlich hätte es ein gemütlicher Segeltag werden sollen, danach eine noch gemütlichere Nacht und am morgen hätten wir bei kaum Wind in Napier im Hafen ankommen sollen. Jetzt ist 18 Uhr, der Wind bläst uns Flugwasser um die Ohren und wir sehen Napier bereits am Horizont. Zum Glück stimmt zumindest die Windrichtung und wir sind auf Kurs Südwest, hinein in die Hawke’s Bay und somit in die Windabdeckung. Am Ende erreichen wir Napier kurz nach Mitternacht. Bei fast kompletter Windstille fahren wir durch die untiefe Einfahrt, welche glücklicherweise bei Flut tief genug ist und finden auch den bereits für uns reservierten Platz. Am Ende hat sich die zusätzliche Geschwindigkeit ausgezahlt und wir können beide im ruhigen Hafen gut schlafen, anstatt dass wir uns irgendwo da draussen bei Wellengang mit dem Schlafen abwechseln müssen.
Beim Blick auf die Windkarten am nächsten Morgen wird schnell klar. Allzu bald geht es für uns nicht weiter. Darum entschliessen wir uns kurzerhand ein Auto zu mieten und einige Tage das Landesinnere unsicher zu machen. Wir packen Zelt, Kocher und unsere Campingstühle ein und los gehts! Oder auch nicht. Bei der Vermietung wollen sie uns kein Auto geben. Wir brauchen eine Übersetzung unseres Führerscheins. Blöde. Ein Telefon, eine E-Mail, rund 40 Franken und 10 Minuten später haben wir eine Übersetzung. Jetzt kann es wirklich losgehen. Für den ersten Tag steht ein Besuch bei Heike in Auckland auf dem Programm. Das Problem ist nur, wir haben das Auto erst um Mittag mieten können und jetzt noch einmal eine wertvolle halbe Stunde verloren. Bis Auckland sind es aber rund sechs Stunden zu fahren. Also nichts wie los! Unterwegs buchen wir noch rasch einen Campingplatz für die Nacht und um 7 Uhr sind wir endlich da. Zum Glück sind hier die Tage lang und wir haben noch mindestens bis um 10 Uhr Tageslicht. In Auckland werden wir von Heike freudig empfangen. Heike war mit Leonie zusammen in Island auf der Passage. Jetzt hat sie aber ein viel verrückteres Projekt. Sie nimmt am Ocean Globe Race teil. Das Ocean Globe Race ist eine Hommage an die erste Weltumsegelungsregatta im Jahre 1973, dem legendäre ersten “Whitebread Race”. Es werden dieselben Etappen gesegelt wie damals, und die teilnehmenden Schiffe müssen vor 1988 gebaut worden sein. Heike hat auf einer Nautor Swan 57 angeheuert. Fast das gleiche Schiff wie jenes, das damals vor 50 Jahren das erste Whitbread Race überraschend gewonnen hat. Zusammen mit ihr schauen wir uns die teilnehmenden Schiffe, und natürlich vor allem dasjenige, auf dem sie mitsegelt, an. Alles Schiffe, die soeben 7500 Seemeilen durch den südlichen Ozean gesegelt sind. Durch Stürme und Flauten. 50 Tage nur Wasser vor dem Bug. Für sie geht es schon in wenigen Tagen weiter, weitere 6200 Meilen ums Kap Hoorn bis nach Uruguay. Für uns ist klar: lieber die als wir.
Wir sitzen gerade mit Heike zusammen beim Italiener und warten auf unsere Pizza Galzone. Ich schaue noch einmal kurz durch die Buchungsbestätigung für den Campingplatz um zu schauen, ob es etwas Spezielles zu beachten gibt. Wir haben einen Schlosscode für den Zugang zum Platz erhalten und das Haupttor… WAS? Mist! Das Haupttor schliesst um 21 Uhr. Das war vor 20 Minuten. Was machen wir jetzt? Nach einigem Hin und Her und etwa 5 Minuten schlechter Laune meinerseits ist die Entscheidung klar. So ein Tor kann zwei Fussgänger mit einem Zelt ja wohl kaum aufhalten, also können wir unseren bezahlten Platz auch benutzen. Nachdem wir uns von Heike verabschiedet hatten, fahren wir auf gut Glück noch 20 Minuten aus dem Zentrum von Auckland raus und stehen tatsächlich bald vor einer geschlossenen Barriere. Für unser Auto gibt es kein Durchkommen. Zu Fuss müssen wir aber nicht mal klettern, neben der Barriere führt nämlich sogar ein Fussweg vorbei. Wir parkieren das Auto, schnappen und Zelt und Schlafsäcke und gehen halt zu Fuss zu unserem Zeltplatz. In der stockfinsteren Nacht ist das gar nicht mal so einfach. Trotzdem schlafen wir schon wenig später tief und fest in unserem Zelt.
Der nächste Morgen beginnt für uns dann früher, als uns lieb ist. Der Rund um unser Zelt gackert und raschelt es in voller Lautstärke. Wie es scheint, sind wir auf einem Bauernhof gelandet. Nach einigem hin und her drehen stehen wir früh auf und machen einen kurzen Morgenspaziergang entlang der nahen Küste, welche von Vulkangestein gesäumt ist und über den Erlebnisbauernhof, mit Ziegen, Schweinen, den lauten Hühnern und sogar einem Pfau begegnen wir. Das Programm für den heutigen Tag machen wir bei einem guten Kaffee und Frühstück: Heute wollen wir Kākāpō suchen.
Kurz nachdem wir in Neuseeland angekommen sind, hat Leonie einen Bericht über die Kākāpō, einem hier heimischen Papagei gefunden. Seither hat sie nicht nur ein neues Lieblingstier, sondern auch nichts mehr anderes im Kopf als den Vogel suchen zu wollen. Das Problem ist, die Kākāpō sind stark vom Aussterben bedroht. Es gibt nur noch gut 100 Exemplare und das auch nur weil sich verschiedene Organisationen in den letzten Jahren mit sehr viel Aufwand für deren Rettung eingesetzt haben. Fast alle dieser scheuen und gut getarnten Vögel leben jedoch auf Inseln, welche nicht betreten werden dürfen. Die einzige Möglichkeit überhaupt einen zu Gesicht zu bekommen ist das Maungatautari Sanctuary, in welchem 5 Exemplare ausgesetzt wurden.
Nach einigen Stunden Überlandstrassen sind wir da. Wir machen einen kurzen Besuch im Visitor Center und machen uns danach auf zu einer Wanderung. Das Mittagessen im Gepäck geht es los. Und da wird uns erst so richtig bewusst, wie absolut chancenlos es ist, einen Kākāpō zu finden. Das Sanctuary umfasst 3400 Hektaren und mehrere Berge. Und auf diesem riesigen Gebiet leben sie also, die fünf Kākāpō. Fünf Kākāpō! Trotzdem halten wir natürlich besonders gut Ausschau. Das schöne dabei ist, dass wir, obwohl wir keinen Kākāpō entdecken, eine Vielzahl anderer Vögel und Tiere entdecken. Der Besuch ist also trotzdem ein voller Erfolg.
Den Abend verbringen wir an einem Stausee am Waikato River auf einem Campingplatz. Wir stellen die Campingstühle auf, schmeissen den Kocher an und lassen bei einem leckeren Risotto die Aufregung der letzten Tage ausklingen. Allzu lange halten wir das gemütliche Leben jedoch nicht aus. Irgendwie ist uns das dann doch zu langweilig. Deshalb fahren wir am nächsten Morgen los Richtung der Vulkanlandschaft im Zentrum der neuseeländischen Nordinsel. Nachdem wir Verpflegung eingekauft haben und endlich am Fusse des Mount Ruapehu angekommen sind, ist leider schon später Nachmittag. Wir haben eine rund 5-stündige Wanderung geplant, auf welcher wir jedoch in der Mitte einen Zeltplatz suchen und eine Nacht schlafen wollen. Zuvor schauen wir uns noch das Wakapapa Skigebiet an. Jetzt im Sommer erscheinen die auf einer schwarzen Vulkanwüste gebauten Seilbahnen surreal. Sowieso fühlen wir uns, als würden wir auf dem Mond spazieren. Ein schwieriger Vergleich, wir waren ja noch nie auf dem Mond. Wir tragen auch keine Raumanzüge und die Schwerkraft ist hier auch nicht anders. Also vermutlich ist der Mondvergleich ziemlich schlecht. Trotzdem erinnern uns die scharfkantigen schwarzen Felsen an eine andere Welt irgendwo da draussen im All.
Heute sind wir, trotz des schwereren Rucksacks mit Zelt und Kochutensilien, leichtfüssig unterwegs. Während wir eine karge Felslandschaft gerechnet haben, werden wir durch eine unglaubliche Vielfältigkeit überrascht. Anfangs geht der Weg für ein kurzes Stück der Strasse entlang, bevor es auf einen gut gemachten Weg abzweigt, der durch flaches Gestrüpp mit einer Vielzahl verschiedener Blüten führt. Es geht mal hoch, mal runter, bis wir wenig später an der Hauptsehenswürdigkeit der Wanderung ankommen. Ein kleiner Fluss, welcher, statt über den schwarzen Vulkanstein über weisse und gelbe Steine fliesst. Tatsächlich sind es aber eigentlich nicht die Steine, welche diese Farbe haben, sondern Ablagerungen, welche der Bach dort hinterlassen hat. Während das Wasser bei seinem Weg durch das Gestein bahnt, sammeln sich Mineralien wie Silikate und Aluminium an. Wenn das Wasser an der Oberfläche über die Stromschnellen und Steine fliesst, mischt es sich mit dem Sauerstoff in der Luft, und die Aluminium-Silikate lagern sich auf den Steinen ab. Dies führt zu der beeindruckenden Verfärbung, welche vor allem dort zur Geltung kommt, wo er mit einem kleiner, von Eisenoxiden rot gefärbten Seitenbach zusammenfliesst.
Der Weg führt entlang des Baches in einer sanften Steigung den Berg herunter und urplötzlich ändert sich die Umgebung. Das karge Rotbraun weicht saftigem Grün. Die Luft ist auf einmal feucht und kühl und der Weg ist von Laub und Nadelbäumen gesäumt. Neben uns plätschert immer noch fröhlich der kleine Bach und so fühlt es sich an, als würden wir durch einen Märchenwald spazieren. Die karge Felswüste des Vulkans scheint plötzlich unglaublich weit weg zu sein. Später am Tag überqueren wir reissende Flüsse und alpine Sumpflandschaften, entdecken neue Blumen und zähe Gräser, hören Vögel zwitschern und den Wind in den Bäumen rauschen. Vielfältiger hätte es kaum sein können. Zum Übernachten finden wir einen perfekt geeigneten Platz am Wegrand, direkt neben einem grösseren Bach. Wir bauen unser Zelt auf, kochen uns Spaghetti und geniessen die letzten warmen Stunden des Tages. Die klare Nacht verspricht hier auf fast 2000 Meter Höhe eisig kalt zu werden.
Dank eines guten Schlafsacks war die Nacht ganz angenehm und wir haben sehr gut geschlafen. Erst jetzt beim Aufstehen wird uns bewusst, wie kalt es wirklich ist. Nachdem wir das Zelt abgebaut haben, haben wir beide kein Gefühl mehr in den Fingern. An Frühstücken ist so nicht zu denken. Wir packen also alles zusammen und packen den letzten Teil unserer Wanderung an. Bis zurück zum Auto sollten es nur noch rund 2 Stunden sein und wir hoffen unterwegs einen guten Frühstücksplatz an der Sonne zu finden. Zu allem Übel bläst an diesem Morgen auch noch ein richtig kalter Wind und so dauert es länger als gedacht, bis sich unsere Finger, mit einem Gefühl, als würden uns tausend Nadeln malträtieren, zurückmelden. Die Aussicht beim Frühstück belohnt uns dann für alles. In den weiten Ebenen, welche von der Morgensonne beleuchtet werden, bleibt unser Blick einzig am Mount Ngauruhoe hängen, der mit seinem perfekten Vulkankegel als “Mount Doom” aus “Der Herr der Ringe” bekannt wurde.
Irgendwie sind wir heute in Fahrt und so entschliessen wir uns die gut stündige Rundwanderung zum nahegelegenen Taranaki Falls (einen Wasserfall) zu joggen. Irgendwie macht das gerade richtig Spass. So haben wir, zurück beim Auto, um 10:30 Uhr morgens schon eine knapp 2-stündige Wanderung und etwas mehr als 6 km Joggen hinter uns. Die Frage bleibt, was wir mit dem angefangenen Tag noch machen wollen. Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns für eine Vulkanwanderung. Für die Vulkane sind wir schliesslich hier hergefahren. Die Variante Vulkan bedeutet aber auch, dass wir noch einmal eine 7-stündige Wanderung machen wollen. Also los, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.
Wir ziehen die schnellsten Schuhe an, die wir besitzen, packen Wasser und Proviant ein und joggen gleich los. Schliesslich gilt es, die sieben Stunden in weniger als vier zu schaffen. Relativ bald müssen wir jedoch einen Gang hinunter schalten. Es geht nämlich steil bergauf. Bis zu unserem Tagesziel sind es fast 850 Höhenmeter. Mit jedem Schritt in die Höhe wird es kühler. Der eisige Wind wird immer stärker und bald müssen wir unsere Hüte festhalten. Brrr… Wir hätten eine Windjacke mitbringen sollen! Belohnt werden wir mit einer atemberaubenden Landschaft. Der Weg führt am Fusse des Ngauruhoe entlang, mitten durch einen alten Krater und am Schluss über eine schroffe Krete hoch auf den “Red Crater”. Der letzte Teil des Weges hat es so viel Wind, dass wir fast von unseren Beinen geblasen werden. Um uns herum leuchten die Felsen in Gelb, Rot und Braun, durchbrochen einzig vom tief türkisblauen Wasser der Seen. Mitten dazwischen dampft es aus dem Boden und zusammen mit dem stürmischen Wind können wir langsam verstehen, wie sich Sam gefühlt haben muss, als er Frodo durch diese Landschaft schleppen musste, um den Ring in den Feuerberg zu werfen.
Der Rückweg fällt uns einiges einfacher. Es geht fast die ganze Zeit Bergab und auch der Wind wird immer schwächer und gleichzeitig auch wärmer. Tatsächlich stehen wir nach knapp vier Stunden, mit müden Beinen, wieder bei unserem Auto. Jetzt können wir wirklich etwas Entspannung gebrauchen. Zu unserem Glück sind wir in Neuseeland! Neben schönster Natur gibt es hier nämlich auch heisse Quellen. Und zu genau so einer wollen wir jetzt gehen. In Taupo machen wir einen kurzen Umweg zu unserem Camping, bauen unser Zelt auf und fahren dann direkt weiter zu einem kleinen Seitenbach des Waikato Rivers welcher dort gut temperiert, über einige Steine und durch kleine Pools, in den grossen Fluss fliesst. Für unsere geschundenen Beine könnten wir uns kaum etwas Besseres vorstellen und so fällt die Anstrengung der letzten Tage langsam von uns ab. Das Beste daran ist, dass der Bach in einem öffentlichen Park der Stadt Taupo ist und somit komplett kostenlos ist. So schlafen wir, in unserer letzten Nacht im Zelt, so entspannt ein wie es nur möglich ist. Am nächsten Tag müssen wir das Auto am Mittag abgeben, haben vorher aber noch gut drei Stunden Autofahrt vor uns. Durch das verregnete Wetter haben wir zumindest nicht mehr das Gefühlt etwas zu verpassen. Und so erreichen wir die Jollity, die brav auf uns wartet, kurz vor dem Mittag im Hafen von Napier. So lange sind wir auf unserer Reise tatsächlich noch nie weg vom Schiff gewesen.
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