Ich sitze im Schiff, neben mir eine grosse Tasse Kaffee. Die Heizung läuft. Denn draussen tobt Ida. Ida ist nicht die Tochter von unseren Schiffsnachbarn. Nein Ida ist ein ehemaliger Hurrikan. Der vierte den wir abkriegen seit wir in den USA unterwegs sind. Ida tobt eigentlich auch nicht. Wir ankern in einer sehr gut geschützten Bucht und haben kaum mehr als 10 Knoten Wind. Aber Ida hat getobt, in New Orleans hat er eine Schneise der Zerstörung hinterlassen und New York hat er komplett unter Wasser gesetzt. An beiden Orten hat es Tote gegeben und der Notstand wurde ausgerufen. Hier merken wir bis jetzt kaum etwas davon. Aber es regnet und ist kalt. Es ist also das beste sich eine grosse Tasse Kaffee aufzubrühen und sich ins Schiffsinnere zu verziehen. Draussen auf dem Meer tobt Ida vermutlich wirklich. Die Prognosen sahen beängstigend aus. Ein Grundwind von 40 (72km/h) mit Böen bis weit über 50 (90km/h) Knoten. Auf der Beaufort Skala eine 10 oder schlicht und einfach ein Sturm! Das können wir uns gerne ersparen. Darum sitzen wir jetzt hier in dieser Bucht und warten darauf, dass sich der Wind und vor allem die Wellen da draussen beruhigen. Gestern waren wir im Botanischen Garten der gleich hier um die Ecke ist, und der sozusagen mit dem Dinghy erreichbar ist. Dort haben wir noch bei strahlendem Sonnenschein die unglaubliche Vielfalt an Pflanzen, Blumen und Schmetterlingen bestaunt und sind die fünf riesengrossen Trolle suchen gegangen. Die Trolle bewachen den Wald und führen dich, wenn du alle gefunden und besucht hast, zu ihrem geheimen Versteck, wo sie die Samen aller heimischen Bäume aufbewahren. Auf dem Rückweg durchbrechen wir mit unserem Dinghy eine spiegelglatte Wasseroberfläche. Die Wellen verzerren alle Objekte in unnatürliche Formen und lassen, die in einen Winterschlaf verfallene Welt um uns, in unruhiger Bewegung erwachen. Die Ruhe vor dem Sturm.
Mittlerweile hat es sogar aufgehört zu regnen. Der Wind müsste eigentlich jetzt sein Maximum erreichen, lässt hier aber weiter auf sich warte. Die Sonne drückt sogar leicht durch die graue Wolkendecke. Bis jetzt haben wir jeden Hurrikan in einer sehr gut geschützten Bucht verbringen können und haben kaum starke Winde abgekriegt. Trotzdem sind sie jedes Mal wieder furchterregend, wenn man die Vorhersagen und Satellitenbilder anschaut. Am Ende ist es, hier im Norden, aber dann doch meistens der viele Regen, welcher für die meisten Schäden verantwortlich ist. Da wir auf dem Wasser schwimmen, kann uns Regen eigentlich nichts anhaben. Glück gehabt!
Es ist Nachmittag desselben Tages, ich schaue den Mast hoch, blinzle gegen die Sonne, welche mir direkt ins Gesicht scheint, und versuche den Stander (zeigt an aus welcher Richtung der Wind kommt) zu lesen. Perfekt, 175 Grad aus Steuerbord. Wir sind am Segeln. Die Windanzeige pendelt irgendwo zwischen 15 und 30 Knoten und bläst uns schön in unser Grossegel. Wir machen 5 bis 7,5 Knoten fahrt. Die Sonne wärmt so schön, dass ich mittlerweile im T-Shirt hinter dem Steuer stehe. Beim Verlassen der geschützten Bucht haben wir festgestellt, dass es nur wenige Meter von uns entfernt ganz schön gut Wind hat. Das haben wir ja auch erwartet und gehofft. Deshalb sind wir jetzt hier am Segeln, die Überreste von Ida am Ausnutzen um noch einige Meilen zu machen. Aus Erfahrung wissen wir, lange wird der Wind nicht mehr anhalten, und tatsächlich wird er kontinuierlich schwächer. Bald ist aus dem sportlichen Segeln ein gemütlicher Nachmittagsausflug in der Sonne geworden und nach rund 20 Meilen müssen wir, für die letzten Meilen, sogar den Motor noch einschalten. Die Sonne versinkt langsam hinter den Bäumen der umliegenden Inseln und taucht die ganze Umgebung in rotes Licht. Auf dem mittlerweile spiegelglatten Wasser entsteht eine perfekte Kopie des Schauspiels, welches nur durch die Wellen von unserem Schiff gestört wird. Das scheint die Ruhe nach dem Sturm zu sein.
Wir stehen in der ruhigen Quohog Bay direkt neben Snow Island. Schnee hat es, obwohl es hier in Maine bereits kühler wird, aber zum Glück noch keinen gegeben. Obwohl, vor allem Little Snow Island unglaublich hübsch ist und uns fast verleitet eine Nacht im Zelt zu verbringen, segeln wir trotzdem am nächsten Tag weiter. Für die Nacht ist nämlich sowieso wieder Regen angesagt. Nach nur sechs Meilen stoppen wir bereits wieder in einer Bucht die rundum von Häuser gesäumt ist. Hier merkt man definitiv, dass wir wieder näher zu Portland kommen und die Besiedlungsdichte wieder zunimmt. Der Ankerplatz liegt genau neben einer ganz speziellen Brücke. Eine Brücke, wie sie so, nur ein einziges Mal konstruiert wurde. Gebaut aus riesigen Steinquadern, einzig durch Schwerkraft an Ort und Stelle gehalten. Aufgestapelt, so dass die starke Gezeitenströmung durch die Brücke hindurchfliessen kann. Definitiv ein interessanter Bau. Der grösste Vorteil von unserem neuen Ankerplatz zeigt sich jedoch erst am nächsten Morgen beim Besuch der lokalen Bäckerei. Die Blueberry Muffins sind ohne zu übertreiben die vermutlich besten die wir je hatten. So gut, dass wir gleich noch eine Nacht bleiben und uns auch am nächsten Tag noch einmal in die lange Schlange stellen. Während wir gemütlich bei Muffins und Kaffee an der Sonne vor der Bäckerei sitzen, fährt ein Oldtimer nach dem anderen vor. Was für ein Schauspiel. Im Gespräch erfahren wir, dass viele hier wohnen, oder zumindest den ganzen Sommer in der Region verbringen. Viele sind auch schon gesegelt. Haben selber ein Schiff oder sind sogar als professionelle Kapitäne, hundertmal die Ostküste hoch und runter gesegelt.
Neben uns in der Bucht steht ein hübsches rotes Schiff, mit einer netten jungen Familie. So nett das wir, nach einem kurzen Gespräch, über viele technische Details, direkt eine Kaffeemaschine geschenkt kriegen. Wow! Einen halben Tag später, wir stehen schon in der nächsten Bucht bei Jewell Island, merken wir, dass uns leider wohl ein Teil davon fehlt. Was für ein Mist. Ein Blick aufs Telefon bestätigt die Befürchtung. Jonathan hat sich soeben bei uns gemeldet. Er hat festgestellt, dass sie eines davon zu viel haben. Wie also kommt das jetzt zu uns? Kein Problem meint Jonathan, sie würden einfach am übernächsten Morgen mit dem Dinghy rüberfahren.
Zuvor wollen wir aber die Insel erkunden. Am morgen, wir sind soeben mit dem Frühstück fertig, fährt ein kleines Schiff in die Bucht ein. Angeschrieben ist es mit der Maine Island Trail Assosiation. Einer Organisation welche auf vielen der Inseln Wanderwege und Campingplätze unterhält. Schon oft sind wir auf ihren Wegen gegangen. Der Inselwart von Jewell Island ist ein junger Typ. Und, wie kann es anders sein, wahnsinnig hilfsbereit. Nachdem er uns in alle Geheimnisse und Schönheiten der Insel eingeführt hat, verspricht er, sogleich noch eine Karte holen zu gehen. Eine viertel Stunde später taucht er mit einer Karte und vier Dosen Bier wieder auf. Eine spezial Brauung der lokalen Brauerei von Portland. Zweimal das Jewell Island IPA und zweimal das Main Island Trail Ale. Wie cool! Und mal wieder sind wir überwältigt wie nett die Menschen hier sind. Im Gegenzug machen wir mit ihm eine Führung durch unser Boot. Er sprudelt nur so von Fragen. Wie lebt es sich auf dem Schiff, was sind die grössten Schwierigkeiten, wie viel kostet das alles. Bald stellt sich heraus, dass er wohl auch davon träumt auf einem Schiff zu leben. Seine Freundin scheint er aber wohl noch überzeugen zu müssen.
Auf der Insel hat es alte Bunker und Aussichtstürme aus dem Zweiten Weltkrieg. Portland galt für die USA als einer der strategisch wichtigsten Punkte an der Ostküste, da es der am Europa am nächsten liegende Stützpunkt war. Deshalb sind die Inseln vor der Hafeneinfahrt alle mit Befestigungsanlagen bestückt. Die alten Türme sind noch immer intakt und man kann in ihnen hochklettern und eine super Aussicht geniessen. Der Bunker macht super viel Spass beim Erkunden. Überall hängen alte, vom Rost zerfressene Türen in ihren Angeln und Rohre von der Decke. Wir entdecken alte Sockel für Geschütze und in einige Räumen hange sogar noch die Lampen, einsam und traurig, von der Decke. Irgendwie kann man sich gut vorstellen, wie auf der Insel zum Ende des Zweiten Weltkrieges, die Anlage wurde 1944 in Betrieb genommen, die Soldaten gelebt haben. Überall auf der Insel verteilt finden wir Überreste von dieser Zeit, alte Baracken, Kamine, rostige Maschinen und vieles mehr gibt es zu entdecken. Heute ist alles verwachsen und die Natur scheint sich die Insel zurückerobert zu haben. Vor allem die felsige Küste, an welcher die Wellen vom Atlantik brechen gefällt, uns sehr gut. Hier in der Casco Bay sind die Felsen ganz anders als weiter östlich. Von oben sind sie fein gegliedert, von der Seite oft glatte Felswände, welche im Sonnenlicht um die Wette glitzern. Am Abend gibt es endlich Schlangenbrot und Würste vom Feuer. Dazu unser neues Bier und ein herrlicher Sonnenuntergang.
Am nächsten Morgen kommen tatsächlich Jonathan, Leah und Zephyr mit dem Dinghy vorbei! Und das alles nur, weil sie uns eine Kaffeemaschine schenken wollten. Dem dreijährigen Zephyr scheint das aber sehr zu passen! Freudestrahlend lacht er uns bei der Ankunft entgegen, er hat anscheinend die halbstündige Fahrt sehr genossen. Bald darauf trinken wir frischen Kaffee und bauen mit Zephyr Papierflieger. Was für ein toller Abschluss für unsere Zeit hier in Maine.
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