Es war einmal, vor langer langer Zeit, auf einer einsamen Insel an der rauen Atlantikküste von Amerika. Es war eine Zeit vor der Industrialisierung. Es war eine Zeit in der Gefängnisinsassen jeden Tag Hummer gegessen haben. Eine Zeit in der man mit Hummer kein Geld verdienen konnte. Schliesslich konnte sich jeder einfach sein Abendessen am Strand einsammeln gehen, da ergibt es keinen Sinn dafür zu bezahlen. Es war eine Zeit, in der sich die Gefangenen wohl gewünscht haben endlich mal etwas anderes essen zu dürfen. Doch diese Zeit ist lang vergangen. Die Möglichkeit, Essen in Dosen abzupacken, hat auch das Meer nicht unberührt gelassen. Eine Nahrungsquelle welche vorher nur die lokale Bevölkerung ernähren musste, wird plötzlich weltweit exportiert und geschätzt. Plötzlich lässt sich Geld damit verdienen. Die Hummerfischerei geht los, und die Bestände verkleinern sich. Heute findet man am Strand keine Hummer mehr, die werden alle vorher in Fallen gelockt und landen auf den Tellern von jenen, die es sich leisten können. Denn heute ist Hummer eine Delikatesse. Trotz allem scheinen die Bestände hier in Maine immer noch sehr gesund zu sein und sich auch stabil zu halten. Und genau darum müssen wir immer wieder diesen Bojen ausweichen. Wir sind jetzt unterwegs von Vinalhaven nach Isle au Haut, einer der am meisten befischten Buchten hier in Maine. Keine Minute darf man das Wasser vor dem Schiff aus den Augen lassen.

Der grösste Teil von Isle au Haut gehört zum Acadia National Park welcher jährlich von rund 5 Millionen Menschen besucht wird. Das meiste davon während zwei bis drei Monaten im Sommer. Der meiste Tourismus entfällt aber auf Mount Desert Island auf welcher auch der grösste Teil vom Nationalpark ist. Isle au Haut ist zum Glück einige Meilen vom Festland entfernt und es fährt nur eine Fähre am Tag, welche für maximal 80 Personen Platz bietet. Wir Ankern ganz im Norden in der Nähe der einzigen Siedlung der Insel. Dieser Ankerplatz wurde uns speziell für seine schönen Sonnenuntergänge empfohlen. Und wir wurden nicht enttäuscht.

Rund 50 Menschen leben das ganze Jahr auf der Insel, jetzt im Sommer sind es, durch die vielen Sommerhäuser auf der Insel jedoch rund 400. Von dort unternehmen wir eine Wanderung einmal rund um die Insel. Rund 22 km und auch einige Höhenmeter durch die unterschiedlichen Vegetationszonen der Insel. Nachdem wir am Eingang vom Ranger noch letzte Tipps erhalten haben, geht es los durch einen sumpfigen Wald, gesprenkelt mit von grünem Moos bewachsenen Felsen, Heidelbeerbüschen und hunderten von Pilzarten. Über einfache Holzstege führt der Weg über die Tümpel und den schlammigen Boden. Später am selben Tag klettern wir über die felsige Südflanke des Duck Harbor Mountain bis zu dessen Gipfel mit grossartiger Aussicht über die Penebscot Bay und wieder hinunter durch Wälder aus knorrigen Föhren, welche vom Wind gezeichnet sind und entlang der felsigen Küste. Unterwegs pflücken wir Heidelbeeren, Himbeeren und Pfifferlinge. Langsam verstehen wir, wo die grossen Märchenautoren ihre Inspiration herhaben.

So, jetzt wisst ihr zwar wo wir den Märchenwald gefunden haben, aber wo steckt denn nun dieser Fischer und seine Hummer? Es ist derselbe Tag, wir sind soeben von unsrer Wanderung zurück auf dem Schiff und wollen uns den Schweiss vom Leibe duschen, als ein kleines Motorboot in unsere Richtung zu fahren kommt, neben unserem Schiff abbremst und uns auf der Insel willkommen heisst. Die zwei Passagiere sind beide kaum älter als 20. Und weil wir ja freundliche Gastgeber sind, laden wir sie prompt zu einem Bier auf unser Schiff ein. Bald stellt sich heraus, dass Aden, einer der beiden, schon fast sein ganzes Leben hier auf der Insel verbracht hat und als Hummerfischer arbeitet. Er hat selber ein kleines Fischerboot und betreut eigenhändig 200 Fallen, die mehrmals die Woche kontrolliert werden müssen. Leider haben sie nicht besonders viel Zeit, laden uns jedoch für nächsten Tag zum Abendessen ein. Und weil der nächste Tag sowieso Regen angesagt ist, haben wir keine grossen Pläne.

Der nächste Tag fängt verhangen an, entwickelt sich regnerisch und gegen Abend wird das Wetter auch nicht viel besser. Umso erstaunter sind wir als am späten Nachmittag Aden auftaucht, um uns noch einmal zum Abendessen einzuladen. Bei so viel Nachdruck können wir natürlich nicht nein sagen. Zwei Stunden später sitzen wir im Haus von Adens Grossmutter in einer gemütlichen Stube beim Abendessen. Im Kamin brennt ein Feuer und aus der Küche duftet es herrlich nach Ofenkartoffeln und gebratenen Hühnchen. Aden lässt es sich nicht nehmen mit uns einen Ausflug durch den Garten zu machen und uns eine grosse Tüte mit allerlei Gemüse zu füllen. Bei Abendessen werden wir immer wieder dazu überredet doch noch einen Tag länger zu bleiben. Unsere Wäsche bei ihnen zu waschen, ihre private Insel zu erkunden und natürlich mit ihnen Hummer zu essen. Nachdem wir erst gezögert haben, lassen wir uns am Ende doch überreden.

Der nächste Tag beginnt mit herrlichem Wetter und nachdem wir unsere Wäsche zusammengesucht haben fahren wir mit unserem Schiff an eine Mooring (Boje) direkt vor ihrem Haus. Anstatt, dass wir beim Waschen helfen können, werden wir aus der Waschküche geschmissen und dürfen das von Ihnen gepflegte Wanderwegnetz erkunden gehen. Am Nachmittag kommt Aden freudestrahlend vom Fischen zurück. Es hat anscheinend Wellen nach dem Sturm vom Vortag. Minuten später sind wir zurück auf dem Schiff und wachsen unsere Surfboards um wenig später von Aden mit dem Speedboot abgeholt zu werden. Leider sind die Wellen seit dem Morgen aber schon wieder zu stark eingebrochen, weshalb aus der Surfsession leider nichts wird. Egal, ein Ausflug mit dem Speedboot rund um Isle au Haut ist auf jeden Fall auch keine schlechte Nachmittagsbeschäftigung. Und so kommen wir nach einem ereignisreichen Tag tatsächlich zu einem „Lobster-Bake“. Vom Fischer persönlich gefangen und zubereitet.

Zwei Tage später ankern wir nach einem frustrierenden Segeltag wieder bei einer kleinen Ortschaft (Frenchboro) auf einer Insel, welche man in einigen Stunden komplett umlaufen kann. Frustrierend war der Segeltag vor allem deshalb, weil wir bei knapp Wind aufkreuzen mussten und wir dank sehr schlechtem Timing immer Gegenstrom hatten. Teilweise sind wir fast auf der Stelle gekreuzt. Und das Wetter war auch noch alles andere als gut. Kurz vor der Ankunft kommt dann jedoch die Sonne durch die Wolken und so sitzen wir bald im Cockpit und lesen in den letzten Strahlen der Sonne wie Gimli und Legolas einer Horde Orks die Schädel einschlagen. Auch hier auf der Insel gibt es Wanderwege welche Lust darauf machen jeden Winkel erkunden zu gehen. Hier in der Bucht sind alle Häuser auf hohe Stelzen aufs Wasser hinaus gebaut. Was für ein Anblick, vor allem bei Ebbe. Bei einem kurzen Abendspaziergang entdecken wir, dass eines der Häuser ein Restaurant ist. Auf der Terrasse, an der Sonne, sitzen wohl alle Einwohner des beschaulichen Dorfs und alle Besucher beisammen und essen Heidelbeerkuchen und trinken ein Glas Weisswein. Wir freuen uns schon auf morgen, dann werden wir uns auch zu ihnen gesellen.

Wie sich am nächsten Morgen zeigt, geht unsere Rechnung nicht auf. Es ist ein gewöhnlicher Dienstag und dummerweise hat das Restaurant genau an Dienstagen geschlossen. Und sowieso ist das Wetter viel schlechter als erhofft. Es ist neblig und regnet nämlich. Erst ist es nur ein Nieselregen, dann werden wir aber doch noch richtig nass auf unserem Spaziergang. Gestern hat die Insel irgendwie verlockender ausgesehen. Doch auch der Regen hat seine guten Seiten. Das Grün wirkt noch saftiger und die Regentropfen auf dem Moos und den Blättern sind auch hübsch. Die nassen Hosen die an unseren Beinen kleben können wir trotzdem nicht ganz vergessen. Egal, morgen soll es weitergehen nach Mount Desert Island und zum Hauptteil des Acadia National Park.


2 Comments

Irene Ott · September 7, 2021 at 8:13 am

Ihr lieben, was für tolle Geschichten! So gut geschrieben, und dann diese absolut ganz fantastisch tollen Fotos! Ihr erlebt so viel und könnt es auch auskosten, einfach wunderbar.
Liebe Grüsse
Irene und Nik

    SY Jollity · September 7, 2021 at 12:07 pm

    Vielen Dank! Wir freuen uns immer sehr wenn wir solches Lob erhalten. Ganz liebe Grüsse von der Jollity

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