Eigentlich sind wir auf Aitutaki geblieben zum Kitesurfen, anstatt mit dem guten Wetterfenster loszufahren. Von Thomas, welcher vor 4 Tagen los ist, erfahren wir aber, dass sie überhaupt keinen Wind hatten und alles Motoren mussten. Genau das haben wir auch das Gefühl, denn aus der perfekten Kitewoche ist wieder einmal nichts geworden. Vor lauter Frust entscheiden wir kurzerhand Segel zu setzten, es ist bereits Nachmittag. Die Prognosen sehen nicht allzu schlecht aus, einzig die Wellen könnten, weil südlich von uns sehr starker Wind ist, etwas grösser sein als wir uns das wünschen. Tatsächlich machen wir schon in der ersten Nach die Bekanntschaft mit einer gut 3 Meter hohen Welle und füttern auch prompt beide die Fische. Auch der Wind ist etwas stärker als die angesagten gemütlichen 15-20 Knoten. Die meiste Zeit bläst er mindestens mit 25 bis 30 Knoten. Alles in allem haben wir es uns gemütlicher vorgestellt. Schon in der ersten Nacht schlafen wir beide kaum, denn im Bett werden wir dauernd von links nach rechts geschleudert und auch das Rauschen der Wellen und des Windes machen es schwer zu entspannen und in den Schlaf zu gleiten. Am nächsten Morgen schaffen wir es kaum etwas zu essen. Wir ernähren uns von Zwieback. Am Abend schaffen wir es dann endlich ein paar Tortellini in kochendes Wasser zu geben. Doch das Essen fällt uns beiden schwer, auch wenn wir die Energie ganz dringend benötigen würden. Und so ist Zwieback weiterhin das Hauptnahrungsmittel. Zwar ist uns mittlerweile nicht mehr ganz so schlecht, dafür macht uns mittlerweile die Müdigkeit zu schaffen. Auch tagsüber liegt jemand von uns immer im Bett, und trotzdem findet uns der Schlaf nicht. Langsam können wir kaum noch liegen, haben aber auch kaum Kraft etwas anderes zu tun. Der zweite Morgen kommt, die Hälfte ist geschafft. Es wird Mittag, dann Abend und die Sonne geht unter. Über uns ändert der Himmel seine Farbe von hellgrau zu dunkelgrau und wenig später zu einem tiefen Schwarz. Kein Stern leuchtet, der Mond wird erst gegen Morgen aufgehen und auch dann nur als schwache Sichel, die vermutlich hinter den Wolken nicht zu sehen ist. Zum Abendessen gibt es Teigwaren mit Rahm. Mehr schaffen wir auch heute nicht.

Gerade wird das Schwarz der Nacht von einem dunklen Grau vertrieben. Endlich hat sich der Wind etwas gelegt, die Wellen haben etwas ihrer schärfe verloren. Wir werden zwar immer noch hin und her geworfen, aber die Bewegung hat jetzt viel weniger Kraft, viel weniger ruppig. Wir sind nur noch 120 Seemeilen von Niue entfernt und die Prognosen sehen ganz in Ordnung aus. Zwar rechnen wir weiterhin mit gelegentlichen Regenzellen und vermutlich auch mal wieder etwas mehr Wind, trotzdem macht sich langsam ein Optimismus breit und wir freuen uns auf die Ankunft in Niue. Lange soll das jedoch nicht währen. Um neun schiebt sich von Norden her, entgegen der Windrichtung, eine Wolkenwand auf uns zu. Dann beginnt es stark zu regnen, der Wind nimmt zu. Was wir am Anfang als kurze Regenschauer abtun, scheint leider nicht allzu bald abzuklingen. Im Gegenteil, der Wind nimmt noch einmal etwas zu, der Regen wird zwar zwischenzeitlich etwas weniger, die nächsten fünf Stunden bleibt es jedoch nass vom Himmel.

Der Wind heult um unseren Mast, immer öfter zeigt die Windanzeige über 40 Knoten an, in Böen sogar bis 45 kn. Gleichzeitig nehmen auch die, bereits hohen Wellen noch mehr zu. Immer höher türmen sich die dunklen Berge hinter unserem Schiff auf. Die bleierne Dunkelheit wird immer öfter durch scharfe weisse Kämme durchbrochen, wenn die Spitze der Wellen zu brechen anfangen. Mittlerweile werden wir von der Gischt, welche von den Wellen abgeblasen wird, genauso nass wie vom Regen aus den dunkelgrauen Wolken. Um uns ist die nasse Hölle. Wenn wir jetzt einem anderen Schiff begegnen würden, könnten wir es vermutlich erst sehen, wenn es kaum noch 100 Meter von uns entfernt ist.

Dann plötzlich legt sich die Jollity stark zur Seite, plötzlich steht sie quer zur Welle. Der Autopilot piepst einen Fehler und hört auf zu steuern. Leonie springt ans Ruder, kann jedoch auch nicht mehr steuern. Für einen kurzen Moment sind wir manövrierunfähig, dann nimmt das Schiff wieder etwas Fahrt auf und endlich können wir auch wieder steuern. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Durch das Querschlagen haben wir jedoch für einen Moment jegliche Fahrt verloren und konnten deshalb auch nicht mehr steuern. Bis nach Niue sind es noch rund 80 Seemeilen. Wir entscheiden von Hand zu steuern.

Doch kaum stehen wir am Steuer, zeigt sich das nächste Problem. Der Wind hat stark nach Süden gedreht und so müssten wir viel härter an den Wind drehen um Niue überhaupt erreichen zu können. Das würde aber auch bedeuten, dass die gut 4 Meter hohen Wellen, uns genau seitlich erwischen. Für einen langen Moment wissen wir nicht mehr wie weiter. Wir wissen nicht, wie lange dieser Sturm noch anhalten wird und wie er sich bewegt. Auf den Wettervorhersagen ist davon nichts zu sehen. Wenn wir Niue verpassen sollten, dann bleibt uns nichts anderes übrig als nach Samoa oder Tonga weiterzufahren. Das würde aber mindestens noch einmal fast zwei Tage dauern. Wir sind aber bereits jetzt am Ende unserer Kräfte. Doch in dieser Hinsicht ist das Meer gnadenlos. Es gibt kein Aufgeben oder eine Pause. Die einzige Möglichkeit ist weiter zu machen.

Eine gute Stunde später übergebe ich Leonie das Steuer. Der Wind leicht nachgegeben. Immer öfter fällt die Windmessung wieder unter 40 Knoten. Und was mir nicht aufgefallen ist, der Wind hat etwa 5 Grad nach Osten gedreht und Leonie schafft es plötzlich wieder das Nordende von Niue anzupeilen. Zwar sind es noch 65 Seemeilen und damit noch rund neun Stunden bis wir in die Wellenabdeckung der Insel fahren können, aber trotzdem gibt es uns Hoffnung noch in dieser Nacht dieser Hölle zu entkommen.

Kurz vor Sonnenuntergang sehen wir sogar ein wenig blauen Himmel und die Sonne scheint für kurze Zeit, der Wind bleibt bei rund 40 Knoten, dreht aber im Verlauf des Tages noch einmal etwas weiter nach Osten und macht so eine Ankunft in Niue problemlos möglich. Kurz nach Sonnenuntergang sehen wir die ersten Lichter am Horizont, um neun Uhr abends haben wir das nordöstliche Ende von Niue querab. Kurze Zeit später nimmt die Wellenhöhe langsam ab. Wir sind beide komplett am Ende. Vermutlich hält uns nur noch das Adrenalin und die Schokolade auf den Beinen. Vermutlich waren wir noch nie so froh, endlich angekommen zu sein. Im Schutz der Insel segeln wir die letzten Meilen und genau um Mitternacht sind wir sauber an einer Mooringboje vertäut.

Categories: Sailing

1 Comment

Graser · October 17, 2023 at 7:02 pm

Wooow, da habt ihr was durch gemacht!
Bravo!
Liebe Grüsse, Lukas

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