Der Wecker klingelt. Wir strecken uns. Der Wecker klingelt… Allzu erholsam war die Nacht irgendwie nicht. Da hilft nur Kaffee. Zum Glück hat Leonie schon am Abend ein geeignetes Lokal gesucht und so bleibt uns heute Morgen sogar das Denken erspart. Nach einem (oder auch zwei) guten Kaffee und einem Frühstück bleibt uns nichts anderes übrig als und von Annegret und Jürg zu verabschieden. Für die beiden geht es jetzt 10 Tage lang auf dem Land Richtung Auckland. Wir wollen von hier aus erst mal in die entgegengesetzte Richtung, nach Süden. Wo genau es hingeht wissen wir noch nicht definitiv, dafür hatten wir noch keine Zeit zum Planen.

Die Fahrt führt uns über eine schnurgerade Strasse südlich. Der perfekte Zeitpunkt, um Reiseführer und Landeskarten zu studieren. Dann ist sie plötzlich da, und auch schon wieder hinter uns: die längste Brücke von Neuseeland! Wer schon mal eine richtig grosse Brücke gesehen hat, wird hier kaum zu beeindrucken sein, aber immerhin ist sie 1,75 km lang und bestimmt auch rund 4 Meter hoch. Sie führt jedoch über einen dieser, typisch für die Südinsel, breiten Flüsse, welche sich eben über die fast 2 km breite durch ein Flussbett aus Kies schlängeln. Was der Brücke an Aussergewöhnlichkeit fehlt, macht der Fluss bei weitem wett.

Nach der Brücke machen wir einer kurzen Rast, um mal zusammen auf die Landkarte zu schauen und zu entscheiden, wo wir jetzt als nächsten hinfahren wollen. Aufgrund der zu fahrenden Distanz und des eher durchzogenen Wetters entscheiden wir uns für die kürzere Variante und lassen somit die bekannten türkisfarbenen Gletscherseen aus. Die haben wir ja vor elf Jahren schon einmal gesehen. Was wir damals übersprungen haben, ist ein Besuch im Tal, in welchem die Szenen in Edoras aus Herr der Ringe gedreht wurden.

Wir verlassen die Küste also und fahren Richtung der südlichen Alpen. Hinein in die ersten Hügelzüge und lassen uns sofort verzaubern. Die Strasse wird schmaler und bald weicht der Teer einfachem Kies. Die Felder weichen vereinzelten Wäldern und dann sehr schnell kargem Weideland. Laut unserer Karte fahren wir an alten Mienen vorbei, finden jedoch, ausser ein paar verlassenen Gebäude nichts, was darauf hinweist, dass es etwas zu sehen gibt. Dafür machen wir bei einer alten Farm halt. In einem der Gebäude ist eine kleine Ausstellung, welche von der Geschichte des Landes und dessen Menschen erzählt. Früher war das ganze Tal von Wald bedeckt, doch noch bevor die europäischen Siedler in Neuseeland angekommen sind, sind die Waldbestände auf der Südinsel grossflächig abgebrannt. Wenn man heute durch die kargen Hochebenen und Täler fährt, kann man sich kaum vorstellen, dass hier einmal Wald gewachsen ist. Mit der Ankunft der Europäer haben diese das Land bald beschlagnahmt und für die Schafzucht verwendet. Zu Rekordzeiten haben in diesem 34’000 Hektaren grossen Tal bis zu 28’000 Merinoschafe gelebt. Auf zwei Farmen. Heute sehen wir nur noch ganz vereinzelt Schafe.

Während wir tiefer in die Voralpen vorstossen, wird die Szenerie immer dramatischer. Die Wolken hängen tief. Über die Bergkämme ziehen erste Regenschauern. Wir sehen weit und breit kein anderes Auto. An einem kleinen See kommen wir an einer fast vollständig verlassenen Feriensiedlung vorbei. Dann führt die Strasse wieder runter in ein breites Tal, welches fast vollständig vom sich immer wieder verzweigenden Fluss dominiert wird. Mitten im Tal ragt ein ganz spezieller Felsen hervor. Eben genau dieser Fels, welcher in der Herr der Ringe als Standort für Edoras, Hauptstadt von Rohan dient. Für Fans dieser Filme braucht es keine Erklärung, der Berg ist unverkennbar! Auf dem Parkplatz, von welchem aus der Weg dort hoch führt, stehen dann auch 3 andere Autos. Bei stürmischen Winden und vermehrten Regenschauern kämpfen wir uns auf den Gipfel. Und auch wenn die Aussicht schon bei gutem Wetter atemberaubend gewesen wäre, so macht vor allem das schlechte Wetter und die Wolken und Schattenspiele diesen Besuch ganz besonders.

Etwas weniger begeistert sind wir von der Vorstellung im Zelt zu schlafen. Deshalb entschliessen wir uns kurzerhand bei der Lodge, welche wir wenige Meter vor dem Ziel passiert haben nachzufragen, was denn Zelten bei ihnen kostet. Eine Stunde später kochen wir in der Aussenküche, aber immerhin im Trockenen, unser Abendessen. Danach gibt es eine Wohlverdiente warme Dusche. Das beste jedoch ist, dass es eine Bar mit gemütlichen Sofas, einer kleinen Bibliothek und einem Billardtisch hat. Beziehungsweise hätte. Als wir vom Duschen zurückkommen und es uns bei einem Bier gemütlich machen wollen, sind die Türen nämlich fest verschlossen. Mist! Nur wenige Minuten später kommen schon die nächsten zwei mit derselben Idee. Am Ende sitzen wir zu sechst in der Kälte unter dem Vordach. Zumindest sind wir hier vom Regen, der wieder eingesetzt hat, geschützt und wir haben eine angeregte Diskussion in guter Gesellschaft.


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