Nach vier Tagen verlassen wir Plymouth an einem schönen Abend. An Land ziehen bereits wieder Gewitterwolken auf und verdecken die Sonne, die sich langsam dem Horizont zuwendet. Im Moment ist es hier jedoch sehr ruhig. Es hat rund acht Knoten Wind und wir Segeln gemütlich in Richtung Norden. Obwohl das Risiko besteht, dass uns am Abend noch eine Gewitterzelle erwischen könnte, verspricht es eine sehr ruhige Nacht zu werden. Furchterregender sieht es für den nächsten Morgen aus. Je nachdem welchem Vorhersagemodell wir Glauben schenken, soll es Böen zwischen 35 und 45 Knoten geben. Dies hat uns lange zögern lassen, ob wir überhaupt lossegeln wollen. Da es aber das einzige Windfenster seit zwei Wochen ist, entscheiden wir die Überfahrt trotzdem zu wagen. Im Moment hat es jedoch noch sehr wenig Wind und Wellen sind klein und lang und wir schaukeln kaum. Im Logbuch notieren wir bei der Wellenhöhe sogar eine null. Wir führen immer, wenn wir segeln ein Logbuch in welchem wir immer wieder notieren wie die Lage gerade ist. Dabei schreiben wir auf wie das Wetter und der Wind ist, welchen Kurs wir fahren und welche Besegelung wir führen, notieren uns wichtige Ereignisse und Besonderheiten und notieren auch jedes Mal den Luftdruck. Vor allem letzteres kann überlebenswichtig sein, da ein schnell fallender Druck ein Sturm mit potenziell sehr starken Winden ankünden kann, welche es nötig machen würde ein Reff in die Segel zu ziehen. Nur durch das Regelmässige aufschreiben achtet man auch darauf und sieht die Veränderung. Auf dieser Überfahrt fällt der Druck tatsächlich relativ stark zusammen, jedoch nicht sehr schnell und auch nicht unerwartet. Das schlechte Wetter und die starken Winde erwarten wir ja bereits. Ansonsten ist dem Logbuch zu entnehmen, dass wir eine sehr ruhige Nacht haben. Langsam zieht der Wind an und morgens um zwei fahren wir fünf und um sieben schon teilweise sechs Knoten. Auch die Wellen nehmen dabei kontinuierlich zu wie man in unseren Logbuch gut lesen kann.
Nach einer Sternlosen Nacht begrüsst uns der nächste Morgen verhangen und regnerisch. Die erste Regenfront bringt jedoch noch kein Wind über 22 Knoten und so kommen wir ganz gut vorwärts. Auch die nächsten Regenschauer bringen nicht der befürchtete Wind und so entscheiden wir uns an unserem möglichen Ausstiegspunkt, auf den Shoal Islands, vorbei und gleich nach Portland weiterzusegeln. Der Wind bläst weiterhin Wolkenfezen und Regenschauern übers Wasser, wir messen jedoch nie mehr als 25 Knoten Wind. Es scheint also alles weniger schlimm als auf den Prognosen befürchtet. Trotzdem segeln wir schon seit dem Morgen mit eingerefftem Gross, um auf alles vorbereitet zu sein.
Maine begrüsst uns zwar nicht gerade freundlich, davon lassen wir uns aber nicht so einfach abschrecken. Schliesslich haben wir uns jetzt schon wochenlang darauf gefreut! Während wir für Portland einen Ankerplatz suchen stellen wir fest, das ankern in der Stadt selbst nicht möglich ist. Also suchen wir in der Bucht nördlich von Portland nach anderen Ankerplätzen und stellen fest, dass wir fast hinter jeder der rund hundert Inseln in der Bucht ankern könnten. Ein Platz scheint uns aber besonders geeignet zu sein. Vier Inseln welche eine kleine Bucht bilden, in welcher wir sehr gut geschützt sein sollten. Die Inselgruppe wird „The Goslings“ genannt. Und während die ersten kleinen Inseln in Sichtweite kommen wird sogar das Wetter langsam besser. Der einzige Hacken an der Sache. Wir hätten nicht schlechter im Timing sein können. Rund drei Knoten Gegenstrom haben wir in der engen Einfahrt und auf den letzten 5 Meilen bis zum Ankerplatz. Wir haben noch immer 15 Knoten Rückenwind und knapp 2m hohe Wellen die uns unter Segel gut auf die Einfahrt zuschiebt. Das Resultat aus diesen Bedingungen ist erwartungsgemäss ungemütlich. In der Einfahrt bauen sich, durch die gegen die Strömung auflaufenden Wellen und den Wind bis zu 3 Meter hohe sehr steile Wellen auf. Achterbahn fahren mit Jollity steht mal wieder auf dem Programm. Yeah!
Danach glättet sich das Wasser jedoch sehr schnell und da wir jetzt nicht mehr abgelenkt sind, können wir jetzt die Umgebung genauer unter die Lupe nehmen. Plötzlich segeln wir auf topfebenem Wasser mitten zwischen kleinen Bewaldeten Inseln. Die meisten Inseln haben eine felsige Küste und sind mit dichten, wilden Wäldern bewachsen. Vor uns auf dem Wasser jedoch liegen hunderte Bojen von Lobster Fallen. Rund alle 20 Meter schwimmt so ein Ding. Da ist höchste Konzentration gefragt beim Segeln.
Wenig später können wir, um eine kleine, bewaldete Insel drehend, die Segel Bergen. Wir ankern zwischen einigen Moorings hinter einer Sandbank, welche zwei der Inseln vor uns verbindet. Mittlerweile scheint die Sonne am wolkenlosen Himmel und versucht nachzuholen, was sie den ganzen Tag versäumt hat. Der Wind ist fast komplett eingeschlafen und so können wir uns in den letzten Strahlen des Tages noch einmal so richtig aufwärmen.
Sofort montieren wir den Aussenborder an unser Dinghy und fahren rüber auf die Sandbank, welche nur bei Ebbe sichtbar ist. Von dort machen wir uns auf den Weg die Insel zu erkunden. Schon vom Schiff aus haben wir den Wald riechen können. Jetzt, wie wir zwischen den Bäumen über das noch nasse Moos gehen, atmen wir den Duft vom frischen Wald tief ein. Erst jetzt stellen wir fest wie stark wir diese Gerüche vermisst haben. Vermutlich ist dies das erste Mal, dass wir einen solchen Wald betreten, seit wir die Schweiz verlassen haben. Unser Spaziergang führt uns zuerst durch den moosigen Wald, entlang von Farn, Pilzen und totem Holz, später über die grossen Felsen welche die Insel fast rundherum flankieren. Zwischen den Felsen hat es immer wieder kleine Kieselstrände mit hunderten von Schneckenhäusern und Muscheln. Es ist wirklich verlockend hier zu verweilen. Das Dinghy liegt jedoch auf der Sandbank und Ebbe ist gerade vorüber. Bei fast drei Meter unterschied zur Flut, kann so eine Sandbank in kürzester Zeit verschwinden. Zurück bei der Sandbank ist diese jedoch immer noch genauso wie zuvor, das Wasser jedoch bereits wieder am Steigen.
Auf dem Weg zurück zum Schiff winkt uns ein Herr vom einzigen anderen Segelschiff, welches in dieser Bucht geankert ist, zu. Und weil wir nicht unfreundlich sein wollen und lokale Segler immer hilfreiche Tipps haben, schwenken wir ab und fahren kurzerhand rüber zu ihm. Drei Minuten später sitzen wir bei Randy und Gail im Cockpit ihrer Pearson 34 „S/V Imagine“. Wir erzählen von unserer Reise, was wir bis jetzt erlebt haben, und sie geben uns ihrerseits Tipps wo wir unbedingt hinfahren sollen in Maine. Wenig später haben wir einen Drink in der Hand und ein Abendessen auf dem Teller. Es gibt Fleisch vom Grill und dazu Salat. Und während der Abend sich langsam dem Ende neigt wissen wir immer genauer wo die versteckten Juwelen zu finden sind und welche Plätze wir meiden sollen. Das wichtigste jedoch scheint zu sein, dass wir das Buch „A cruising guide to the Maine coast“ besitzen. Dieser, so allgemein bekannt, sei die Bibel des Seglers hier in Maine. Nach einem wunderbaren Abend in bester Gesellschaft, die man sich wünschen könnte, lassen wir uns satt und zufrieden in unser Bett fallen. Jedoch erst, nachdem wir die beiden eingeladen haben, am nächsten Morgen unbedingt noch auf ein Kaffee rüber zu kommen und sich unser Schiff anzuschauen.
Am nächsten Morgen zum Kaffee erscheinen Gail und Randy mit einem dicken Buch in der Hand. Sie hätten es doch noch gefunden. Das zweite Exemplar des Cruising Guides. Und sie würden es uns schenken. Und so sind auch wir in Besitz dieses sagenumwobenen Buches gekommen. Obwohl es sich um die zweite Auflage des Buches handelt, die bereits 1991 veröffentlicht wurde, wird sich bald herausstellen, dass sich hier in Main sehr wenig geändert hat in den letzten dreissig Jahren. Und noch einmal werden wir, auf Papier, Ankerplatz für Ankerplatz durch ganz Maine entlang der schönsten Plätze geführt und jeder Lohnenswerte Platz markieren sie uns im Buch sogleich mit einem Stern. Das ist genial! Und noch einmal werden wir vor all den Lobster-Bojen gewarnt. Wenn wir weiter „Down-east“, wie die einheimischen es nennen, kommen, soll es noch einmal viel mehr davon haben. Hinzu kommt, dass in einigen Bereichen von Maine, jeweils zwei, mit einem Seil verbundene Bojen schwimmen. Die zwei Bojen sind bis zu zehn Meter voneinander entfernt und wenn wir dazwischen hindurchfahren sollten, würden wir ganz bestimmt ein Seil aus unserer Schiffsschraube schneiden müssen.
Wir sind also in Maine angekommen! Und von dem was wir bis jetzt gesehen und vor allem gehört haben, hat sich die Reise hier hoch sehr gelohnt. Wir lassen uns also überraschen was die nächsten Wochen bringen werden und hoffen, dass wir nie ins eiskalte Wasser springen müssen, um uns von einem Seil freizuschneiden.
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