Ring ring…. Rrring ring… Verschlafen reibe ich mir die Augen. Wenige Augenblicke später öffne ich sie. Dunkelheit. Trotzdem ist Leonie neben mir schon am Aufstehen. Es ist halb vier Uhr morgens und ich will nach gerade mal gut vier Stunden Schlaf überhaupt nicht aufstehen. Rring ring… Es scheint mir aber kaum erspart zu bleiben. Schliesslich wollen wir unseren Slot nicht verpassen. Es ist der grosse Tag, der Tag, an dem wir durch den Panamakanal fahren werden. Langsam kommt Bewegung ins Schiff. Auch Denise und Claude, die bei uns zu Besuch sind und uns bei der Kanaldurchfahrt helfen, kommen aus ihrem Bett gekrochen. Kaum bin ich fertig angezogen, klopft es auch schon aussen ans Schiff. Jan ist auch bereits wach und bereit. Jan ist unser fünfter Mann, denn für die Durchfahrt des Kanals ist es obligatorisch, dass auf jedem Schiff neben dem Rudergänger vier Personen bereitstehen, um die Leinen zu bedienen. Jan war so freundlich, kurzfristig einzuspringen. Denn bei der Organisation ging alles ziemlich schnell. Am Freitagmorgen habe ich beim Kanal angerufen, um einen Termin für die Vermessung des Schiffes zu organisieren, welcher ich noch für denselben Tag gekriegt habe. Noch am Freitagnachmittag gingen wir zur Bank, um die Gebühr von gut 2000 Dollar zu bezahlen und am Freitagabend konnte ich bereits einen Termin für die Durchfahrt anfragen. Der 17. März soll es werden. Aber das ist doch erst in mehr als 3 Wochen. Bis dahin wollen wir längst in den Galapagos sein. Kein Problem. Mit etwas Hartnäckigkeit, Geduld und dem exzellenten Spanisch von Denise haben wir, zwei Telefonate später, am Samstag um 10 Uhr morgens einen Termin für den Montag zugesichert bekommen. Bhu, jetzt wird es aber Stressig. Wir müssen noch Leinen und Fender mieten, neue Klampen montieren und eben, noch jemanden finden, der mit uns mitkommt.

Chrchrchrchr… Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee erfüllt die Jollity. So langsam werde auch ich wach. Spätestens nach einer Tasse der frisch gebrühten schwarzen Flüssigkeit freue auch ich mich auf diesen Tag. Eine halbe Stunde später schaukelt die Jollity noch immer in schwärzester Nacht vor der Marina am Anker. Kaum liegt das Eisen auf dem Meeresgrund, sehen wir schon das Lotsenboot auf uns zu fahren. Kurz darauf springt ein freundlich aussehender, gut gebauter, dunkelhäutiger Herr mit einem grossen Grinsen im Gesicht auf unser Schiff. Noch bevor wir uns vorstellen können, sollen wir direkt losfahren. Erst danach reicht es für eine Vorstellungsrunde. Der freundliche Herr heisst Fred und wird uns als Lotse durch den Kanal führen. Jetzt erfahren wir auch, wie viele Schiffe mit uns durch den Kanal fahren. Wir werden zu dritt sein. Das heisst, dass wir die drei Schiffe zusammenbinden werden und so durch die Schleusen fahren.

Langsam zeichnet sich ein roter Schimmer am Horizont ab. Vor uns spannt sich eine Brücke wie ein Eingangstor zum Kanal über das Wasser. Dahinter sehen wir schon die gut beleuchteten Schleusen. Hoffentlich klappt alles. Die letzten Wochen mussten wir uns immer wieder Horrorgeschichten über Unfälle und zusätzlichen Kosten anhören. Alles nur Seemannsgarn? Vermutlich nicht, aber höchstwahrscheinlich passiert doch relativ selten etwas. In der kleinen Gemeinde der Segler sprechen sich solche Sachen jedoch immer sehr schnell herum und jeder Mund, der die Geschichte wiederholt, dichtet noch etwas dazu. Kurz vor der Schleuse geht es darum, die Schiffe zusammenzubinden. Dabei ist das grösste Schiff in der Mitte. Wir bekommen die Steuerbordseite zugewiesen und bald darauf ist aus den drei Schiffen ein festes Päckchen geschnürt. In der Zwischenzeit ist neben uns ein riesiges Frachtschiff in die Schleuse gefahren. Das Heck der “Four Aida” wird die nächste Stunde unsere Aussicht dominieren.

Kurz hinter der “Four Aida” dürfen auch wir in die Schleuse fahren. Von beiden Seiten der Schleuse werden dünne Leinen zu uns herübergeworfen, an welche wir unsere dicken, extra gemieteten Leinen anknoten. Beziehungsweise, die beiden anderen Schiffe in unserem Päckchen knoten ihre Leinen an. Wir müssen überhaupt nichts machen. So bleibt uns mehr Zeit zum Zuschauen. Nur die Miete für das Material hätten wir uns so natürlich getrost sparen können, aber man weiss ja nie was kommt und ohne die entsprechende Ausrüstung hätte uns der Lotse die Durchfahrt verweigert.

Kaum sind wir in der Schleuse, schliesst sich hinter uns das riesige Tor. Das für die Dramatik notwendige “donk” bleibt zwar aus, trotzdem ist die Szene beeindruckend. Wir stehen in einem Loch. Neben uns ragen die Wände der Schleuse zehn Meter nach oben. Einzige das Frachtschiff vor uns lässt sogar die Schleuse klein aussehen. Kaum ist das Tor geschlossen, beginnt sich die Schleuse zu füllen. Jetzt sind wir plötzlich froh sind wir mit 25 mm dicken Leinen in vier Richtungen vertäut. Unter uns scheint das Wasser zu kochen. Die Schleuse kann den neun Meter Höhenunterschied in nur 8 Minuten füllen. Das ist über einen Meter pro Minute. Dafür müssen jede Minute über zehn Millionen Liter Wasser in die Schleusen geleitet werden. Dies geschieht über drei Röhren mit 6.7 Meter Durchmesser. Jede gross genug, um einen Zug durchfahren zu lassen.

So dauert es nicht lange bis die “Four Aida” ganz langsam beschleunigt und von 8 Lokomotiven in die nächste Schleuse gefahren wird. Auch wir folgen. Insgesamt sind es drei Schleusen bis wir anderthalb Stunden später auf den Gatúnsee hinaus fahren, welcher 27 Meter über dem Meeresspiegel ist. Wir befürchten schon, dass die Jollity höhenkrank wird. So weit über dem Meer war sie bestimmt noch nie!

Der Panamakanal führt zum grössten Teil über den Gatúnsee, ein Stausee, welcher im Rahmen des Bauprojektes zum Kanal angelegt wurde. Der See ist riesig und nimmt fast die gesamte Fläche zwischen den beiden Schleusen ein. Er dient aber nicht nur als Schifffahrtstrasse, sondern auch als Wasserspeicher, um die Schleusen betreiben zu können und als Trinkwasserreservoir für grosse Teile von Panama. Gespiesen wird der See durch den vielen Regen, welcher von der karibischen See kommend über dem Regenwald fällt. So ist auch der ganze See von Regenwald gesäumt.

Nach vier Stunden Fahrt und einem guten Mittagessen wird die Landschaft plötzlich hügeliger. Wir nähern uns der Pazifikküste. Hier kommt der Teil des Kanals, der den Erbauern am meisten Kopfzerbrechen bereitet hat. Millionen Tonnen Gesteins mussten hier entfernt werden, um durch die Hügel eine Wasserstrasse zu bauen.

Drei Schleusen später öffnet sich für uns endlich das Tor zum Pazifik. Ganz langsam gleiten die beiden Schleusentore auseinander und das Wasser des Pazifik vermischt sich mit dem in der Schleuse. Wir fahren ein letztes Mal zusammen mit den anderen Segelschiffen aus der Schleuse, lösen unsere Leinen und fahren im Abendlicht zum nächstgelegenen Ankerplatz. Wir haben es geschafft!

Was der Pazifik für Abenteuer bereithält, werden wir (und wenn ihr fleissig den Blog lest, auch ihr) in den nächsten Monaten erfahren.


2 Comments

Lile · April 7, 2023 at 3:29 pm

Hoi zäme,
Letzten Sonntag wollte ich nur kurz den Blog über den Panama Kanal lesen – darauf war ich schon lange gespannt, denn mich faszinieren die kleinen Traktore, welche die grossen Pötte durchziehen… Dann nahm es uns „den Ärmel ine“ und wir schauten den ganzen Abend alle eure Filme – zum TV von Peter gestreamt. Alle, bis zum Hedgehog-Bubblebath und dem letzten Zahnrädli der Winch (?), die Jonas ölte und erstaunlicherweise wieder zusammenbrachte…
Herzlichen Dank für die farbenprächtige Berichte – in Text und Bildern!
Lile (und Peter)

    SY Jollity · April 7, 2023 at 7:19 pm

    Hallo Lile und Peter,
    solches Feedback freut uns natürlich immer unglaublich. Ich hoffe ihr habt euch trotz der ganzen Winschen die gewartet werden mussten nicht zu sehr gelangweilt. Und sehr bald gibt es schon wieder neues zu sehen und lesen.
    Ganz liebe Grüsse
    Leonie und Jonas

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