17, 18, 19, 20 Sekunden! Und wir surfen immer noch. Die Geschwindigkeitsanzeige ist weit über dreizehn Knoten. Der Autopilot hält uns perfekt in der Welle. Im Mondlicht leuchtet das Wasser, welches am Bug in beide Richtungen davonfliegt, weiss auf. Und dann überholt uns die Welle doch noch. Wir sinken hinter ihr ins Tal und bremsen wieder auf eine normale Geschwindigkeit ab.

Wir haben es mal wieder geschafft. Die Windanzeige pendelt irgendwo zwischen 30 und 35 Knoten. Die Wellen haben sich, in dem kaum zwanzig Meter tiefen Wasser, innerhalb von wenigen Stunden zu zweieinhalb Meter hohen spitzigen Bergkämmen aufgebaut. Es ist nach und die Jollity fliegt ihrem Ziel entgegen. Obwohl wir nur das kleinste Reff im Grosssegel fahren und die Genua komplett weggerollt ist machen wir rund 8 Knoten fahrt. Schlafen geht ungefähr so gut, als hätten wir soeben zwei Liter starken Kaffee getrunken. Wir versuchen es, werden aber immer wieder fast aus dem Bett geschmissen. In der ersten Nacht einer Überfahrt sind wir meistens noch nicht müde genug, um bei diesen Bedingungen schlafen zu können. Trotzdem sind wir froh, dass wir nur eine Nacht unterwegs sein werden. Wir sind unterwegs von Beaufort nach Charleston. Etwas mehr als 200 Meilen. Damit wir noch vor Sonnenuntergang ankommen, müssen wir fast 7,5 Knoten fahren. Bei der aktuellen Geschwindigkeit sollte das jedoch kein Problem sein.

Und tatsächlich sehen wir im Morgengrauen bereits Charleston am Horizont und noch vor dem Mittag fahren wir in die Einfahrt ein. Endlich beruhigen sich die Wellen und bald fahren wir auch in die Windabdeckung vom Land. Nachdem wir das Schiff aufgeräumt haben, fallen wir schnell in einen tiefen und erholsamen Schlaf.

Charleston steht dann am nächsten Tag auf dem Programm. Hübsch ist es allemal, viele schön gemachte Häuserfronten drücken sich entlang der weiten Strassen hinter die hohen Bäume. Fast jede Strasse ist von Eichen, Magnolien oder Palmen gesäumt. Selten haben wir eine grünere Stadt gesehen. Und hier sehen wir auch zum ersten Mal, wenn auch nur selten, spanisches Moos. Wie die Bärte von alten Seemännern hängt es in langen grauen Fäden von den Ästen der alten Eichen.

Während wir in Charleston noch vereinzelt spanisches Moos sehen, ist es im fünfzig Kilometer südlich gelegenen Beaufort (ja, schon wieder ein Beaufort) schon allgegenwärtig. Als würden sie Spalier stehen, reihen sich die knorrigen “Live Oaks” auf beiden Seiten der Strasse auf und lassen ihre tief hängenden Äste weit über die vorbei brausenden Autos hängen. Noch tiefer hinunter als die Äste hängt nur das spanische Moos, welches in der Sonne silbern leuchtet.

Den Weg von Charleston nach Beaufort haben wir auf dem Intercoastal Waterway zurückgelegt. Hier weiter im Süden sind viele Teile davon leider nicht mehr ganz so tief wie weiter im Norden. Die untiefste Stelle auf diesem Teilabschnitt ist der Watts Cut. Bei Ebbe nur gerade 1.2 Meter tief, ist er, als wir ankommen, für uns ungünstigerweise gerade nicht mehr passierbar. Also heisst es abwarten, ankern. Die nächste Flut ist erst kurz vor Mitternacht. Trotzdem entscheiden wir uns, die Durchfahrt noch an diesem Abend zu wagen, und so machen wir uns, nach einem der schönsten Sonnenuntergänge überhaupt, um 22 Uhr auf den Weg. Bei eisigen Temperaturen, im kalten Licht des fast vollen Mondes steuern wir die Jollity durch die Untiefen stellen. Das untiefste, was wir sehen sind 2.7 Meter, was noch ganzen 30 cm Reserve entspricht. Nach 45 Minuten ist der schwierige Abschnitt geschafft und der Autopilot darf wieder übernehmen bis zum nächsten Ankerplatz.

Am nächsten Morgen geht es dann sehr früh weiter nach Beaufort, wo wir für einen kurzen Mittagshalt am Stadtpier fest machen. Sobald sich die Gezeitenströmung zu unseren Gunsten gedreht hat, fahren wir noch einmal 3 Stunden weiter bis wir, gerade als die Sonne untergeht an der Insel Pinckney ankern. Pinckney Island wird ist ein Naturschutzgebiet und uns wird wohl vor allem die Sichtung eines Alligators in Erinnerung bleiben.

Mittlerweile ist Thanksgiving, der Tag, an dem sich alle Amerikaner Truthahn in den Magen stopfen, bis sie kaum noch stehen können. Und wir sind auch eingeladen. Segler, welche wir an unserem ersten Tag hier in den USA getroffen haben, wohnen nur wenige Seemeilen von Pinckney Island entfernt und haben uns, zusammen mit anderen Seglern zu einem Thanksgiving Festessen eingeladen. Roger, der übrigens sein Katamaran in zehn Jahren schwerster Arbeit selber gebaut hat, fährt uns schon die halbe Strecke mit seinem Dinghy entgegen, um uns durch die Untiefen und Tücken des Flusses zu lotsen. Zum ersten Mal haben wir einen Lotsen an Bord bei der Hafeneinfahrt. Nach einer warmen Dusche folgt dann das Festessen mit obligatorischem Truthahn. Es schmeckt alles fantastisch und selten haben wir eine solche Auswahl an unbekannten Gerichten auf dem Teller gehabt. Nach einer sehr interessanten Stadtführung von George, einem ehemaligen Geschichtslehrer müssen wir uns leider schon wieder von all den tollen Menschen verabschieden.

Die Zeit und die Temperaturen dränge uns in den Süden und die Windvorhersage könnte kaum besser sein. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang brechen wir also auf. Das Ziel ist der uns am meisten empfohlene Ort an der ganzen Ostküste der USA: Cumberland Island in Georgia. Cumberland Island ist ein Nationalpark und ist eine der dem Festland vorgelagerten Inseln, welche das Bild der Küste zwischen North Carolina und Florida prägen. Als Barriere schützen sie die dahinter liegenden Salzmoore vor den Wellen des Atlantiks. Die vielen Empfehlungen waren nicht ohne Grund. Bäume, über und über verhangen mit spanischem Moos, Ruinen von alten Villen, wilde Pferde, Geier, die auf toten Bäumen sitzen und überall rascheln Gürteltiere durchs alte Laub und über die grünen Wiesen. Wir machen mal wieder das, was wir in solchen Situationen immer machen, wir gehen Wandern. Und weil die Insel gross ist, wird auch die Wanderung gross. Und weil unsere Beine untrainiert sind, fühlen sie sich, als wir nach 35 km zurück auf dem Schiff sind, an wie Lehmklumpen. Weil die Insel so schön ist und wir uns jetzt erholen müssen, bleiben wir noch einige Tage an diesem wunderbaren Ort und geniessen, nach all den Städten mal wieder die Wunder der Natur.

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